Heute geh ich in die Psychiatrie

CN_transfeindlichkeit CN_psychiatriegewalt CN_drugs

Persönlich bin ich letztes Jahr das erste Mal mit Psychiatrie in Berührung gekommen, als ich am Arbeitsplatz einen Meltdown nach einer eskalierten Gesprächssituation hatte. Erklärung: Ein Meltdown ist ein Kontrollverlust mit Impulsdurchbruch nach einer Reizüberflutung (Overload). Ich bezeichne einen meltdown gerne als „Verzweiflungsanfall“, weil Verzweiflung das Leitgefühl ist. Es ist kein Wutanfall, was zufällige Beobachtende oft fälschlich annehmen. Der Unterschied eines meltdowns zu einem Wutanfall ist der einer Implosion zu einer Explosion.
Als ich nach dem Meltdown wieder die Kontrolle über mich erlangt hatte, ließ ich eine Kollegin einen Krankenwagen rufen. Das Ziel war dann halt die nächstgelegene Psychiatrie.

Beruflich habe ich schon jahrelang damit Kontakt.
Ich bin in einem Wohnheim tätig, für Menschen, die körperlich und kognitiv be_hindert werden.
Meine direkte Erwartung, als ich sagte „ ruf mir einen Krankenwagen,“
war, dass ich aus der Situation raus wollte. Den Arbeitsplatz per legaler Flucht verlassen war die erste Idee die kam, daher hatte ich eher wenig Erwartungen.
Zu diesem Zeitpunkt war ich in einer depressiven Episode. Ich verbrachte die ganze Freizeit im Bett. Ich dachte, dass ich aber auf der Arbeit super funktioniere, was natürlich nicht der Fall war. Es
war daher ein Stück weit wie eine Auszeit haben. Als ich beschlossen hatte, heute gehe ich in die Psychiatrie, war das ein Notfallmoment.

Morgenrunde auf der geschlossenen Station

Im Krankenwagen hat mich dann glücklicherweise eine Person darauf hingewiesen, das die Aufnahmestation eine geschlossene Station ist. Der Tag auf der Geschlossenen war Horror.
Ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, dass das hier gefährlich ist. Ich war permanent in einer Verteidigungshaltung. Ich habe dort vier Stunden geschlafen und bin den langen Flur stundenlang auf- und abgelaufen. Ich habe dann darauf Acht gegeben, was die Pflegenden so von sich geben.
Dort war eine trans Person, eine Frau, die permanent misgendert wurde. Dann habe ich die Pflegenden darauf angesprochen, ob es für sie normal wäre, dass Frauen mit „er“ angesprochen werden.
Ich habe es dann noch mal in der Morgenrunde angesprochen. Sie meinten dann, dass sie es ja mal versuchen könnten, anders zu machen. Tatsächlich haben sie es nicht ein Mal versucht. Die pflegende Person wollte scheinbar nur aus dieser Situation rauskommen. Es gab Patient_innen, denen es egal war, aber es gab auch welche die sich solidarisiert haben. Das war dann nicht so angenehm für die Person, die die Morgenrunde leitete.

Vor der Tür

Auf der Geschlossenen durfte man in Morgenrunde Kritik benennen. Die wurde aber ignoriert. Ansonsten hat Kritik eher zu „ironischen oder rhetorischen“ Gegenfragen geführt. Es konnte auch dazu führen, das die Pflegenden genervt waren und lauter wurden. Ich habe selbst relativ wenig Fragen gestellt, aber habe es bei Mitpatienten_innen wahrgenommen. Einer hatte gefragt, ob er seine Medikamente nach dem Frühstück bekommen könnte (regelhaft war vor dem Frühstück). Daraufhin gab es Geschrei, was er sich da nur vorstellen würde. Nach dem „Gespräch“ trat der Stationsleiter auf den Flur und rief: “Hier müsste ein ganz anderer Wind wehen!“ Dann ist er zurück in sein Büro.
Interessant war da auch, dass dort immer die Tür angelehnt war. Es wurde über Menschen auf der Station geredet und hergezogen, während sich Patient_innen vor der Tür befanden. Das war super krass. Da war nichts mit Kritik. Das waren sehr abwertende Aussagen. Vor allem wurde über Verhaltensweisen hergezogen. Oder welche Haltung eins als Patient_in einnimmt, das wurde dann negativ darstellt. Vor der Tür war das gut mitzubekommen, was gerade an Gespräch hinter der Tür lief.

Es wurde eine Person von Polizisten_innen eingeliefert. Ich fokussierte sie mit meinen Augen bis sie weg waren. Dort waren solange sie anwesend waren, zwei Waffen auf der Station. Ich empfand das als sehr unsicher.
Ich habe auch null Informationen bekommen. Als ich mit meinen Smartphone beschäftigt war, kam ein Pflegemensch rein und informiert mich, dass smartphones verboten seien und dass ich es jetzt abgeben muss. Stationsregeln wurden mir zu keinem Zeitpunkt vermittelt. Ein Leitbild gab es, das hatten sie aber „nur“ aufgehängt.

Aushungern

Ich hatte das Gefühl, das sie gar nicht mit mir sprechen. Ich dachte mir: “Das kann ja nicht sein. Es sind ja Pflegende. Die wollen mir doch eigentlich helfen. Vielleicht haben sie zu viel Stress.“
Im Nachhinein habe ich mitbekommen, dass das sehr wohl sein kann. Es gibt das sogenannte „Aushungern“ . Wenn eins neu kommt, dann wird mit der Person aktiv gar nicht gesprochen. Wenn die Person Fragen hat, dann werden diese kurz beantwortet. Nach ein paar Tagen ändern die das dann mit dem Ziel, dass eins sich dann halt wohlfühlt, weil sie jetzt korrekt im Umgang sind. Das ist halt sehr uncool. Da kommen Menschen, denen es gerade scheiße geht, und die werden dann auch noch scheiße behandelt, indem sie erst mal nur beobachtet werden, und keine Person von den Pflegenden spricht mit denen. Und dann entsteht da dieses Gefühl: „Ne, das kann doch gar nicht sein! Da entsteht eine Selbstverunsicherung dadurch.“ Das ist gaslightning mit dem Ziel eine bessere compliance (Bereitschaft mitzuarbeiten) seitens der Patienten_innen zu erreichen. Das ist total krass und das hat System.
Als ich das (Monate später) herausgefunden habe, wollte ich das Qualitätssystem dieses Krankenhauses testen und habe was dazu geschrieben, eine Beschwerde, mit dem Ergebnis, dass ich als Antwort bekam, dass meine Mitteilung dort angekommen sei. Und das war es dann.

Solidarität ist eine Waffe oder Schokolade teilen

Im Verlaufe des Aufenthalts sagte mir eine medizinische Fachperson, dass die Pflegenden meinten, dass ich co-therapeutisch tätig sei. Das war mir neu, ich wurde über gar nichts informiert. Weil ich etwas gemacht hatte, um eine Person zu unterstützen, was aber nicht im Sinne der Pflegenden war, nannten sie das co-therapeutisch. Ich nenne das solidarisches Verhalten. Ich denke das hat was mit
Macht zu tun. Ich hatte auf der Geschlossenen das Gefühl, dass das Leben dort leichter ist, wenn eins sich solidarisch verhält. Ich hatte Schokolade dabei. Ich habe sie geteilt.

In der Nacht hat ein Mensch geschrien, er war fixiert. Dann bin ich dort an der Tür vorbeigegangen, um zu schauen ob jemand bei dem Menschen mit drin ist, was nicht der Fall war.
Ich habe ihn tags drauf gefragt, warum er nachts fixiert ist. Er konnte das auch nicht so genau sagen, wusste nur, dass es da einen richterlichen Beschluss gibt.


Medikamente, Machtmittel oder Hilfsmittel?

Ich wurde später zu der Medikamentenausgabe gerufen. Ich sagte, dass ich nicht wüsste, das ich jetzt noch etwas bekomme. Dann wurde ich von einer pflegenden Person informiert, dass Tavor angesetzt worden war. Gut, die medizinische Person hat mir nichts darüber gesagt, und da ich nichts darüber weiß, werde ich es nicht nehmen. Das hat der pflegenden Person dann nicht so gut gefallen. Ein Nein zu einem Therapievorschlag finden die nicht so cool. Und ich finde es halt nicht cool, wenn eins nichts über Medikamente erfährt.
Ich wurde nach einem Tag auf eine andere Station verlegt. Der medizinische Fachmensch sagte, ich sei hier völlig falsch. Dann bin ich erst mal in Tränen ausgebrochen und war total erleichtert. Die andere Station war eine offene Station und für mich geeigneter.
Die offene Station war von den Pfegenden her viel besser.

Als ich verlegt wurde, hatte eine medizinische Person zu mir gesagt, das ein Moment kommen wird, in dem ich das abbrechen wollen werde, und dass das nicht gut wäre. Sie sagte, dass sie Tavor bei Bedarf ansetze, und danach solle ich dann verlangen, wenn der Moment kommt.
Nach einem Konflikt mit einem Arzt, kam der Moment. Ich hatte die Gefühle gehen zu wollen und die Therapie durchziehen zu wollen, gleichzeitig.
Dann habe ich gesagt, das ich gerne meine Bedarfsmedikamente hätte.
Dann sagte er, ne is nicht. Ich sprach mit der Stationsärztin. Sie sagte mir, das es abgesetzt worden ist. Ich wurde darüber nie informiert.
Der Stationsmedizinmensch hat nach meinem Fragen auf das Medikament gesagt, dass ich ja gehen könnte. Ich war ja freiwillig da, daher würde mir das ja frei stehen. Ich sprach mit der Person, die es angesetzt hatte. Sie sagte, sie wäre nach der Verlegung nicht mehr zuständig.
Aufgrund meiner Beharrlichkeit bekam ich dann 20 mg Ciatyl Z statt des geforderten Tavors.
Ich hätte alles genommen. Ich wollte eigentlich bleiben. Nur sagte mir die Konfliktsituation: weg hier. Und dieses Ciatyl Z war dann der absolute Horror. Ich war wie in mir eingeschlossen. Ich hatte nur noch eine begrenzte Wahrnehmung. Es war fast unmöglich zu gehen. Ich konnte meine Hände,meine Beine, meine Füße kaum richtig gebrauchen. Nur Liegen ging gut. Es
war schlimm. Ich habe eine Tablette genommen, die eine absolute Wirkzeit von 30 Stunden gehabt hat. Glücklicherweise habe ich 19 Stunden davon geschlafen. Ich hatte zwischen drin so Angst, dass das überhaupt nicht mehr aufhört. Dass ich nur noch dieses Gefühl habe, was wirklich so reduziert war. Komplett verschwunden war die Wirkung nach 52 Stunden. Das Ziel zu bleiben, wurde indes erreicht. Nur das mit so einer Horrortablette umgesetzt zu bekommen, ist halt sehr mies. Ich hatte keine Ahung, wie es wirken würde und sie haben mir das auch nicht vorher gesagt. Na ja, ich hätte eh alles genommen zu dem Zeitpunkt.


Prinzip Tavor oder das Erzwingen von Mitarbeit

Tavor bekommt in dieser Klinik jede neu aufgenommene Person für ca. 1 Woche, wird aber dabei schon langsam reduziert. Manchmal sind sie nicht langsam genug und es kommt zu einer unangenehmen Nebenwirkung.
Tavor ist ein Angst lösendes Medikament, das schnell abhängig macht. Wird es zu schnell abgesetzt kippt die Angstfreiheit in Todesangst. Jedenfalls haben mir das Mitpatient_innen so beschrieben.
Als mittlerweile psychiatrieerfahrene Person, die sich mit anderen gerne austauscht weiss ich von Kliniken, in denen das so oder so ähnlich praktiziert wird und von Kliniken, die dies Patienten_innen nicht zumuten. Die flächendeckende Vergabe von Tavor und den unvorsichtige Entzug danach halte ich für eine menschenverachtende Maßnahme, um die Macht innerhalb der psychiatrischen Behandlung aufrecht zu erhalten. Compliance statt Verhandeln.

Und wenn ich gewusst hätte, was das an Nebenwirkungen und Wirkungen haben kann, wenn das zu schnell abgesetzt wird, dann hätte ich drei mal gesagt „ne, will ich auch net“ das war schon schlimm die Mitpatientin in ihrer Todesangst zu sehen. Die Pflegenden waren zwar im Dienst, aber es ist nicht so, dass sie sich dann bei der Person ans Bett setzen. Sie können nicht die
anderen 16 Leute ignorieren, „nur“ weil eine Person Todesangst hat.

Ich habe zufällig eine Mitpatientin besucht, die gerade auf Tavor-Entzug war. Diese Mitpatientin hat in ihrem Bett gelegen und hatte Todesängste. Ich fragte sie, ob ich bleiben soll. Sie bejahte. Dann kam eine pflegende Person rein und informierte mich, das das nicht ok wäre, als die Mitpatientin sagte, dass sie es so wolle, war das für diese pflegende Person ok.
Als ich später kurz den Raum verliess und einen Pfleger traf, sagte er mir, dass es mir untersagt wäre wieder zu ihr zu gehen. Der Mitpatientin wurde dies nicht mitgeteilt, so dass ich tags darauf mein Verhalten erklären musste. Mies. Das war mein erster Kontakt mit Tavor und wie sie es anwenden.

Ich habe dann irgend wann gemerkt, dass ich gar nicht die Hilfe bekomme, die ich suche. Das einzige, was ich bekomme, sind die Medikamente, und das mit all den Nebenwirkungen, die mir im Alltag dann nachteilig sind.