Ava, cis-weiblich, white
(Contentwarning: Misshandlung)
Ich bin jetzt Anfang 20. Es ist also mehr als 5 Jahre her. Ich finde es schwer darüber zu sprechen und mich zu erinnern. Ich versuche es eher zu verdrängen, anstatt es mir immer wieder auf der Zunge zergehen zu lassen. Je öfter ich es durchdenke, umso schlimmer wird es, umso negativer wird die ganze Erfahrung. Ich bin an einem Punkt mit mir selbst, an dem ich das Gesehene reflektieren kann, um damit zu leben.
Zudem weiß ich nun: Mein Leben ist nicht so schlimm ausgegangen, wie manche Menschen es mir prophezeit haben.
Ein wirklich schlechter Witz
Wenn es akut ist, kannst du es dir nicht aussuchen wo du eingewiesen wirst. Das geht dann nach deinem Meldebezirk. Ich hatte mich damit ein paar Tage auseinandergesetzt und alles was ich an Recherche über die Klinik rausgefunden hatte, war nicht gut. Meine Erwartungshaltung war also gemischt, ganz abgesehen davon, dass mir klar war, dass man mich einschließen wird.
In der Klinik angekommen, fand ich es von Anfang an sehr unangenehm. Die Stimmung, die Gespräche. Ich weiß nicht ob es jemanden bewusst ist, der noch nie Therapiekram gemacht hat, aber dein Gegenüber versucht dein tiefstes Inneres zu verstehen. Und um dahin zu gelangen, führt du Gespräche über alles, was nicht so schön in deinem Leben ist.
Das ist sehr aufwühlend und belastend, vor allem wenn es tagtäglich passiert. Dafür ist die Station nun wirklich kein schönes Ambiente: Es ist nicht so, dass ich sage, hey, ich setze mich jetzt hier mit dir in Ruhe hin, ich fühle mich jetzt wohl mit dir, und ich erzähle dir was wirklich in mir abgeht. Zudem geht das nicht mit jedem Menschen, denn du kommst nicht mit jedem klar.
Du ziehst dich vor diesem Menschen aus. Und das ist in einem kalten sterilen Raum vielen Menschen verständlicherweise unangenehm.
Das, was ich an Therapieangebot sah, entsprach einem schlechten Witz. Schlecht organisierte und überbelegte Kunst- und Musiktherapie wandelt auf einen schmalen Grat zwischen Beschäftigungstherapie und nicht den Nerv zu haben, sich um Einzelpersonen aktiv zu kümmern. Überbelegung war generell ein krasses Thema. Ich sah die gleiche Station mit doppelt so vielen Patient*innen, was so einfach nicht tragbar war. Es existiere nun kein Raum mehr sich einzeln um Menschen zu kümmern. Es fühlte sich so sinnlos an, mich einsperren zu lassen und all die anderen Abstriche in Kauf zu nehmen, wenn dafür kein Hilfsangebot vorhanden war. Sie setzten dich also nach ein paar Wochen vor die Tür, wo du dann genau da bist, wo du angefangen hast.
Fragwürdig.
Ich will raus, ich möchte gehen!
Das zweite Mal war einfach nur schlimmer. Ich kannte die Leute dort bereits, ich wusste, dass mir nicht geholfen wird und ich dort trotzdem eingesperrt werden würde. Es gab keine andere Möglichkeit, kein anderes Angebot. Doch es war klar, dass es nichts bringen würde. Es war noch unangenehmer, da ich den ersten Aufenthalt schon reflektiert hatte. Meine Einstellung passt wiederrum den Psychiater*innen gar nicht. Dass ich es fragwürdig fand. Ich habe es geschafft mich selbst zu entlassen, und klargemacht, dass ich da keinen weiteren Tag verbringen will. Es war aber ein Kampf von ein paar Tagen. Ich äußerte meinen Wunsch einer mir fremden Psychiater*in, die daraufhin sehr ausfallend wurde. Ich kannte sie nicht mal. Meine Kritik an der ganzen Institution wurde so hingestellt, als wenn ich mich einfach nicht der Therapie stellen wollen würde.
Ich will raus, ich möchte gehen. Natürlich stelle ich mich dann nicht dieser Art von Therapie, aber in erster Linie möchte ich mich nicht der Psychiatrie stellen, weil es ablehne und ich weiß das es mir nicht guttut. Für mich funktioniert Therapie an sich gut. Nur muss es in Krisensituationen alternative Lösungswege geben als Psychiatrie.
Eine Ausweisung muss von dem Chefarzt bestätigt werden, ich nannte ihn den Obereintänzer. Der, der mit dem weißen Kittel ankommt. Er kam mir wie eine repräsentative Figur vor, denn außer einer Unterschrift gab er mir nichts. Dieser ist aber nicht immer da, was zusätzliches Warten bedeutete.
Das Fixierungsbett auf dem Gang
Ich sehe, dass ihr versucht habt mir zu helfen. Aber ich denke nicht, dass es das war, was für mich gut gewesen wäre. Es ist in der Klinik wie in der gesamten Gesellschaft: wenn du gut funktionierst, und mitmachst und nicht aufmuckst, dann ist alles cool. Du bekommst Privilegien. Du hast mehr Chancen in einem Gespräch mit einer Therapeut*in dir Ausgangs-, Telefon-, und Besuchszeiten raus zu handeln.Doch sobald du dich kritisch gegenüber Behandlungen verhältst, bist du unter besonderer Beobachtung. Ich war kritisch. Insbesondere in einem Gespräch mit der Leitungsebene. Ich bemühte mich aber es in einem Rahmen zu machen, in dem ich da ohne Repressionen rauskam. Meine Ausgangszeit war mir so wichtig, diese eine Stunde am Tag, an der ich raus konnte. Kritik, gerade an Therapiemaßnahmen, wurden oft mit Ausflüchten gerechtfertigt. Ich glaube, die Wahrnehmung war gar nicht da. Für die lief das gut. Solange nicht jede*r zweite Patient*in immer wieder auf der Matte stand, war alles ok.
Die Sanktionen bei Fehlverhalten fingen mit Kleinigkeiten an. Das Mensch am Nachmittag keine Süßigkeiten essen darf, wenn alle anderen dürfen. Die Bestrafungen können aber auch schnell zu Kontaktverboten und Ausgangssperren werden. Das wahrscheinlich höchste Ausmaß ist dann, dass du ans Bett gefesselt und ruhiggestellt wirst.
Und das passiert.
Es passiert bei Menschen bei denen ich es fragwürdig finde.
Eines Tages wurde ein junges Mädchen eingeliefert. Sie wollte nach Hause, sie wollte in ihrem eigenen Bett schlafen. Sie wurde laut. Ich empfand es als das Natürlichste, dass ein Menschen, dem es nicht gut geht, in einer angenehmen Umgebung sein wollte, frei sein wollte und nicht in einer Eins-zu-Eins-Betreuung gegenüber von dem Schwesternzimmer, wo immer Licht brannte. Sie hätten mit dem Mädchen ruhig reden können. Dafür hätten sie sich aber Zeit nehmen müssen. Anstatt dessen haben zwei große Männer das Mädchen, was sehr wenig gewogen hatte, am Bett fixiert.
Fixiert.
Und mit Medikamenten ruhiggestellt.
Dabei ist es so scheiße unangebracht gerade junge Menschen einfach auf Substanzen zu schicken, nur damit sie ruhig sind. Aber das kam immer mal wieder vor. Neuzugänge, welche die erste Nacht auf den Fixierungsbetten schlafen, auf dem Gang, unter dauerhafter Beobachtung. Nur ist das nicht, wie ich mir Hilfe für Kinder und Jugendliche vorstelle. Ich glaube, dass wir sensibler sind, was schlechte Situation angeht. Es prägt uns noch mehr, als einen erwachsenen Menschen, der mit sich selbst schon stabiler ist. Ich kann mir vorstellen, dass es das für viele schlimmer gemacht hat. Ich habe das mit Essverhalten gemerkt. Ich hatte damit phasenweise eh Probleme gehabt. Durch die Klinik ist es viel schlimmer geworden. Sie wollen, dass du aufisst. Wenn nicht ist das dein Problem.
Ein Teil von mir
Es ist ein schmaler Grat zwischen ich nehme dir jegliche Rechte weg und ich versuche dich zu unterstützen. Nur funktioniert das nicht, indem man mir meine Persönlichkeit wegnimmt. Das ist nicht Teil des Problems.
Viele Erwachsene drängen junge Mädchen in die Borderline-Schiene. Obwohl man das in dem Alter noch nicht diagnostizieren darf. Nur weil du aufmuckest, hast du dann eine krasse Diagnose am Hals. Und wenn du in die Schublade rein gerutscht bist über Diagnostik, ist es dann schwer da wieder raus zu kommen. Persönlichkeitsstörung dürfen erst ab 20 diagnostiziert werden. In deiner Jugend entwickelt sich aber erst deine Persönlichkeit, daher macht mensch das nicht eher. Meine erste Diagnose war Depression. Das war klar, das war nicht überraschend. Später habe ich dann eine Borderline-Akzentuierung an dem Kopf geknallt bekommen. Ich verstand, warum sie das dachten. Andererseits wusste ich, dass das einfach meine Persönlichkeit ist.
Ich habe bisher eine Therapeutin kennengelernt, die mich fragte, ob ich meine Diagnose wissen möchte, was ich einen ziemlich guten Zug finde. Es ist nicht so einfach diesen Stempel aufgedrückt zu bekommen. Es ist für die Person nicht immer relevant, ob es einen Titel hat, warum es ihr so geht wie es ihr geht. Sie weißt ja, dass das da ist. Für die Psychiater*in ist es einfach dir dann einen Stempel aufzudrücken, nur so einfach ist es dann halt nicht immer. Es ist nur ein oberflächliches kategorisieren von Menschen. Wenn Mensch permanent in den Diagnosen denkt, kannst du jeden Menschen in 100 Dinge einordnen.
„Yo, ich war die letzten sechs Wochen in der Klinik, was geht bei euch?“
Die Psychiatrieerfahrung hat in meinem Leben generell mehr Schaden als Nutzen verursacht. Für einen Menschen, der sich einsam und nicht zugehörig fühlt, wurde die Situation nicht besser, als ich aus meinem eigenen System entwurzelt wurde und als anderer Mensch wiederkam. In der Schule war es dann sehr schwierig. Ich hatte ein gutes soziales System. Als ich dann sechs Wochen nicht in der Schule war, wurde geredet. Es gab Gerüchte. Ich habe mich danach komplett raus gefühlt. Ich habe nicht mal mehr Lust an der Schule vorbeizulaufen. Es war wohl einfach nicht normal, so lange nicht in der Schule zu sein.Jetzt war ich wirklich nicht mehr zugehörig. „Yo, ich war die letzten sechs Wochen in der Klinik, was geht bei euch?“
Was ich gebraucht hätte
Ich habe nicht das Gefühl gehabt ich werde ernst genommen. Ein zwischenmenschlicher Grundgedanke fehlte. Wenn ich einen Menschen einer Situation aussetze, wo ich diesem jegliche Persönlichkeitsrechte aberkenne, müsste die behandelte Person doch besonders sensibel sein. Sie müsste mir und allen anderen einen geschützten Raum bieten. Doch das passierte nicht. Es passierte das Gegenteil.
Eine Eins-zu-Eins-Betreuung ist menschlich nur entwürdigend. Wenn du 24 Stunden am Tag von einem Augenpaar beobachtet wirst. Es ist egal, ob du auf Klo gehst, es ist egal, ob du schläfst, es ist egal, ob du duschen gehen willst, ob du dich umziehst. Und dann erwartest du von diesem Menschen, dass dieser sich dir gegenüber öffnet, nachdem du ihn permanent erniedrigst?
Fragwürdig.
Ich hätte einen Menschen gebraucht, der sich auf mich konzentriert, der sich mit mir so intensiv auseinandersetzt, dass ich sagen kann, hey, ich fühle mich verstanden. Du unterstützt mich und gibst mir einen Zugang zu Problemen, die ich alleine gerade nicht lösen kann.Ich habe über die Jahre gemerkt, dass Musik und Kunst eine gute Form für mich ist. Ich finde es ehrlicher, denn diesen Ausdruck kann niemand direkt beeinflussen.Ich habe mich so viel beschäftigt und in die Ecke gestellt gefühlt. Es war mehr Beschäftigungstherapie als dass es persönlich aktiv angesetzt hat. Darum würde es mir gehen.Personalisierte Hilfe ist wichtig. Und das in einem Raum, in dem sich eine Person wohl fühlt und sich gerne öffnen möchte, anstatt beim Reinkommen den Drang zu haben schreiend weg zu rennen.
Ich will gefragt werden was ich denke, was ich will und was ich gerade glaube was gut für mich wäre. Welche Hilfestellungen für mich funktionieren würden.In der Psychiatrie wurde versucht mein „Anders sein“ wegzuschieben. Das ist paradox, denn es ist ein Teil von mir. Ich will, dass Anderssein unterstützt wird, anstatt uns einfach nur in eine Schublade zu stecken. Diese sind nur für alle anderen nützlich, für uns aber nicht.
Ich hatte mich nie als einen starken Menschen wahrgenommen. Wenn du so oft in der Öffentlichkeit in Heulkrämpfen ausbrichst, dann glaubst du wahrscheinlich weniger daran stark zu sein. Doch habe ich diesen Scheiß überlebt, ohne als gebrochener Mensch herauszukommen.
Heute weiß ich: ich bin verdammt stark.